Persönliche Assistenz
Persönliche Assistenz orientiert sich an den Bedürfnissen der Assistenznehmer*innen
Anders als in herkömmlichen Hilfesystemen orientiert sich die Persönliche Assistenz am Tagesablauf und den individuellen Bedürfnissen der Assistenznehmer*innen. Das bedeutet z.B., dass nicht ein Dienstleister (z.B. Pflegedienst) von außen entscheidet, wann jemand vorbeikommt oder wer geschickt wird, um die benötigten Hilfeleistungen zu erbringen, sondern der behinderte Mensch entscheidet selbst,
- von wem die Hilfen erbracht werden (Personalkompetenz),
- zu welchem Zeitpunkt die Hilfen erbracht werden (Organisationskompetenz).
- über Art, Umfang und Ablauf der Hilfen (Anleitungskompetenz),
- wo die Hilfen erbracht werden (Raumkompetenz).
Diese vier sog. „Kompetenzen" werden also von den Assistenznehmer*innen selbst wahrgenommen. Kommt noch der Einblick und die Kontrolle über Herkunft und Verwendung des Geldes, das im Zusammenhang mit den erbrachten Hilfen gezahlt wird hinzu, wird auch die sog. Finanzkompetenz durch die Assistenznehmer*innen ausgeübt.
Die ursprüngliche Idee von Persönlicher Assistenz
Das Konzept der Persönlichen Assistenz wurde Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre entwickelt. Pionier*innen dieses Konzeptes waren körperbehinderte Menschen, die einen so erheblichen Hilfebedarf hatten, dass man fast selbstverständlich davon ausging, dieser sei nur in stationären Sondereinrichtungen einzulösen. Es gab zwar Sozialstationen, die theoretisch in der Lage waren, die Hilfe im angemessenen Umfang auch außerhalb von Einrichtungen zu leisten; deren Unterstützung orientierte sich aber mehr an den eigenen betrieblichen Bedürfnissen und eingefahrenen Arbeitsweisen und nicht an den Bedürfnissen der „Kund*innen". Die Pionier*innen der Persönlichen Assistenz machten aus der Not eine Tugend: Sie waren gezwungen, sich ihr Hilfesystem selbst aufzubauen; das machte es ihnen aber auch möglich, dieses System nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Kern des Konzepts waren die auf Seiten der behinderten Menschen selbst angesiedelten oben genannten Kompetenzen. Allerdings war die Durchsetzung des Konzepts alles andere als einfach und häufig erst nach langen Kämpfen und oft nur in einem engen finanziellen wie personellen Rahmen möglich.
Damals wie heute war und ist das Konzept der Persönlichen Assistenz revolutionär, weil es die Bedürfnisse und Fähigkeiten von uns Behinderten in den Mittelpunkt rückt und damit die Behindertenhilfe vom Kopf wieder auf die Füße stellt.
Persönliche Assistenz in Bremen
Ob als Sachleistung über einen Assistenzdienst oder im Rahmen des Arbeitgeber*innenmodells – es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Persönliche Assistenz zu organisieren.
Lesen Sie hier, wie und wo man Persönliche Assistenz in Bremen bekommen kann und wer einen Anspruch darauf hat.
(Persönliche) Assistenz auch in besonderen Wohnformen der Behindertenhilfe?
Das Konzept war erfolgreich und unter behinderten Menschen populär - davon wollten viele Einrichtungen der Behindertenhilfe profitieren, indem sie das Konzept ganz oder teilweise für ihre Arbeit übernahmen, vielfach aber nur bereits bestehende Angebote werbewirksam mit dem Etikett „Assistenz" versahen. Deshalb ist der Begriff der Assistenz schwammig geblieben, im Unterschied zur Persönlichen Assistenz, wo es der SelbstBestimmt-Leben-Bewegung weitgehend gelungen ist, sich auf eine einheitliche Definition zu einigen und diese im allgemeinen (Fach-)Sprachgebrauch durchzusetzen. Und das ist wichtig und notwendig, um alle Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Konzeptes erkennen und diskutieren zu können und für die Probleme, die es natürlich auch bei der Persönlichen Assistenz gibt, gute Lösungen zu finden.
Persönliche Assistenz heute
Persönliche Assistenz kann immer nur so gut sein, wie die Rahmenbedingungen es zulassen. Aspekte der Bedarfsermittlung und Finanzierung setzen hier den Rahmen, innerhalb dessen Persönliche Assistenz mal gut und manchmal auch weniger gut gelingen kann.
Aber auch konzeptionell stellen sich Fragen, mit denen sich sowohl die Kostenträger, die Leistungserbringer wie z.B. Assistenzdienste und vor allem auch Assistenznehmer*innen selbst auseinandersetzen mussten und müssen.
Auf einer von selbstbestimmt Leben organisierten gemeinsamen Fachtagung zur Zukunft der Persönlichen Assistenz in Bremen setzten sich 2014 alle Beteiligten z.B. mit Fragen zur (notwendigen) Anleitungskompetenz als Zugangskriterium zur Leistung, mit Aspekten der Bedarfsermittlung und der Qualifizierung der Persönlichen Assistentinnen und Assistenten auseinander.
Näheres zur Fachtagung sowie den Ergebnissen finden Sie hier.
Aktuell findet im Zuge der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) auch eine Auseinandersetzung und grundlegende Überarbeitung des Bedarfsfeststellungsverfahrens statt, wonach zukünftig die Bedarfe behinderter Menschen zwar nach einem einheitlichen, aber dennoch auf die Person abgestimmten Verfahren ermittelt werden sollen. Dieses Verfahren ist z.Zt. noch in der Entwicklung bzw. Erprobung und soll voraussichtlich ab 2021 angewandt werden.
Quo vadis Persönliche Assistenz?
Wie alles unterliegt auch die Persönliche Assistenz dem Wandel der Zeit.
Die ursprünglich formulierten Kompetenzen, deren Beachtung Selbstbestimmung ermöglichen sollte, scheinen den Assistenzdiensten, vielen Assistenznehmer*innen und auch Assistent*innen nicht mehr ganz so wichtig zu sein oder wurden auch durch die alltäglichen Zwänge der Assistenzorganisation eingeholt.
Unser Eindruck ist, dass sich das Verständnis von Persönlicher Assistenz geändert hat, und zwar auch auf Seiten der Assistenznehmer*innen: Was ursprünglich die Beschreibung einer Arbeitsbeziehung mit gegenseitigen Rechten und Verpflichtungen zwischen Assistenznehmer*innen und Assistent*innen war, in denen Assistenzdienste nur eine vermittelnde und unterstützende Rolle hatten, ist häufig zu einer Beziehung Kunde – Dienstleister zwischen Assistenznehmer*nnen und Assistenzdienst geworden, in der eine möglichst qualifizierte und pflegeleichte Assistent*in als Teil der Dienstleistung erwartet wird.
Vielleicht hat dieser Wandel mitunter zu mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität der Assistenznehmer*innen beigetragen. Doch ein solches Konsumverständnis stößt - das zeigen die Erfahrungen - schnell an Grenzen. Wir sind davon überzeugt, dass auf Dauer Persönliche Assistenz und ähnliche Assistenzkonzepte nur ihren hohen Stellenwert für die Selbstbestimmung des Einzelnen behalten oder bzw. wiedergewinnen können, wenn die gemeinschaftliche Verantwortung aller Akteure am Gelingen von Persönlicher Assistenz wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt wird, auch wenn das an Grenzen und Tabus rührt. Gerade die Beschäftigung mit den Tabus - z.B. was ist, wenn jemand seine Fähigkeit zur Organisation und Anleitung verliert? - ist wichtig, wenn wir das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben nicht nur für eine Elite durchsetzen wollen.
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen und auch das Verständnis darüber, was Persönliche Assistenz ausmacht. Dann hat Persönliche Assistenz in Bremen auch weiterhin eine Zukunft. Dafür setzen wir uns ein.
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